Im Projekt Wear2Share fand am 29. September 2020 ein virtueller Workshop statt, in dem 16 Stakeholder aus den Bereichen Herstellung, Handel, Nachsorge, Beratung und Forschung zu einem ganztägigen Dialog zusammenkamen. Sie erarbeiteten und bewerteten die Chancen, Potenziale und Hürden für Mode-Miet-Plattformen als Geschäftsmodell und formulierten Zukunftsvisionen, wie der Modemarkt mit einem 30-prozentigen Mietanteil aussehen könnte. Aus den Diskussionen leiteten sie zusammen mit dem Projektteam Empfehlungen für und Anforderungen an diverse Stakeholder ab.
Da der Mietanteil auf dem deutschen Modemarkt aktuell noch sehr gering ist, lag der Fokus im Workshop zuerst auf der Identifikation bisheriger Hürden. Für die Kundinnen und Kunden ist dies vor allem die fehlende Bekanntheit von Mode-Miet-Modellen, was auch repräsentative Umfragen im Projekt zeigten.
Hinzu kommt, dass bisher nicht eindeutig wissenschaftlich nachgewiesen ist, ob Miet-Modelle ökologisch nachhaltig sind: Hier fließen viele Faktoren ein – von der Produktion und Entsorgung der Kleidungsstücke über den wiederholten Versand und die professionelle Reinigung bis hin zur Nutzenintensivierung und Lebenszyklusverlängerung der einzelnen Teile. Diese Unklarheit verunsichert die Klientel, die sich besonders für Umweltthemen interessiert und somit eine zentrale Zielgruppe solcher Angebote ist. Diese Forschungslücke zu schließen ist eins der Projektziele von Wear2Share.
Lange Laufzeiten und hohe Fixkosten schrecken ab
Eine weitere Hürde ist das Preis-Leistungs-Verhältnis im Vergleich zu anderen Beschaffungsmöglichkeiten, vor allem vor dem Hintergrund des kontinuierlichen Mehraufwands durch Hin- und Rückversand.
Nicht zuletzt gibt es bei den Kundinnen und Kunden eine allgemeine Unsicherheit bezüglich Laufzeiten, Abo-Verpflichtungen, Kündigungsbedingungen und Haftungspflichten. Hier haben die Teilnehmenden einen Knackpunkt im Angebot der Miet-Modelle ausgemacht: Für die Unternehmen lohnt sich der zusätzliche Aufwand des Mode-Vermietens vorrangig im Abo-Modell, dies bedeutet für die Kundinnen und Kunden aber eine nicht immer erwünschte längerfristige Verpflichtung.
Die größte Hürde auf Unternehmensseite ist der finanzielle Aspekt: Derzeit scheinen sich Miet-Modelle nur für teure Kleidungsstücke zu lohnen, die eine hohe Monatsmiete rechtfertigen. Das Vermieten von alltäglichen Kleidungsstücken, wie es Kilenda und stay awhile praktizierten, ist derzeit kaum gewinnbringend zu gestalten. Hinzu kommen steuerliche und buchhalterische Faktoren sowie rechtliche Konsequenzen und Verpflichtungen. Noch nicht zufriedenstellend beantwortet wurde bisher die Frage, wie man mit der Haftung für die Kleidungsstücke umgeht, wenn der Markt so groß ist, dass das Unternehmen seine Kundinnen und Kunden nicht mehr persönlich kennt. Gehen die Menschen weniger sorgsam mit geliehenen Kleidungsstücken um, wenn die persönliche Ebene fehlt, wie es einige Berichte aus den USA vermuten lassen? Sollte dies auch in Deutschland der Fall sein, müssen dafür Lösungen gefunden werden, denn der sorgsame Umgang ist nötig, damit der gewünschte Langlebigkeitseffekt eintritt.
Aus diesen Hürden haben die Teilnehmenden des Workshops Empfehlungen abgeleitet, um den Mode-Mietmarkt anzukurbeln. Sie wenden sich dabei sowohl an die Textilwirtschaft als auch an die Politik und an die Wissenschaft.
Forderung nach mehr Kreislaufwirtschaft im Textilsektor
Die zwei zentralen Forderungen an die Textilwirtschaft haben vor allem eine stärkere Kreislaufwirtschaft zum Ziel: Erstens sollten Produkte, die aufgrund hoher Beanspruchung und häufiger Nutzung meist kurzlebig sind (beispielsweise Socken und Bodys), so entwickelt und produziert werden, dass sie direkt recycelt werden können, wenn sie nicht mehr tragbar sind.
Zum zweiten sollten alle anderen Produkte möglichst langlebig designt werden. Dies beinhaltet, bei der Planung und Produktion nicht nur an die ersten Nutzerinnen und Nutzer zu denken, sondern weitere Nutzungen direkt mitzudenken. Je qualitativ hochwertiger ein Kleidungsstück produziert wird, desto besser lässt es sich langfristig vermieten, wodurch das Mode-Miet-Modell nicht nur ökologischer, sondern auch ökonomischer wird.
Die Teilnehmendem empfahlen dem Handel, cross-kollaborativer zu arbeiten, also stärker mit Dienstleistern wie Reparaturservices oder Reinigungen zusammenzuarbeiten. Momentan ist es meistens so, dass der Handel verkauft und die Kundinnen und Kunden gegebenenfalls Dienstleister aufsuchen. Ein gutes Beispiel für Cross-Kollaborationen sind Kaufhäuser für Anzüge: Oft ist direkt eine Schneiderei angeschlossen, die Anzüge anpasst oder repariert.
Wenn Pflege, Reinigung, Änderung und Reparatur der Textilien direkt in das Miet-Modell eingebunden wären, würde das potenziellen Kundinnen und Kunden auch den Zugang erleichtern und helfen, die häufig vorhandenen Bedenken hinsichtlich der Haftung für eventuelle Schäden auszuräumen. Nicht zuletzt wären Synergieeffekte von cross-kollaborativen Netzwerken gute Verstärker, um die Bekanntheit der Mode-Miet-Modelle zu steigern.
Politik soll Anreize für ökologische Produktion schaffen
Neben der Textilwirtschaft ist die Politik ein wesentlicher Stakeholder. Die am Markt herrschende Preispolitik, die durch große Fast-Fashion-Hersteller in den vergangenen zwanzig Jahren zu einer Abwärtsspirale führte, macht es alternativen Geschäftsmodellen wie dem Mode-Miet-Modell schwer zu konkurrieren.
Die Teilnehmenden schlagen der Politik vor, beispielsweise die Mehrwertsteuer für ökologisch orientierte Unternehmen zu senken oder eine erweiterte Hersteller- beziehungsweise Produktverantwortung am Ende der Produktlebensdauer einzuführen. Solche Anreize würden es für Unternehmen attraktiver machen, in Kreisläufen zu arbeiten, da sie für die Entsorgung der Textilien auch finanziell mitverantwortlich wären.
Grundsätzlich stellten die Teilnehmenden fest, dass die Themen Weiternutzung, Wiederverwendung/Second Hand sowie Wiederverwertung politisch stärker beachtet werden sollten, beispielsweise im vom Bundesentwicklungsministerium gegründeten Textilbündnis.
Bedingungen für Nachhaltigkeit
Als letzten Stakeholder machten die Teilnehmenden die Wissenschaft aus. Diese könnte dabei unterstützen, die sozialen und ökologischen Effekte von Mode-Miet-Modellen zu bewerten und eine tatsächliche Ökobilanz zu erstellen. Für die Teilnehmenden bleibt dies nämlich die größte offene Frage: Ist Mode zu mieten, vor allem über eine Online-Plattform, die die Kleidungsstücke versendet, wirklich eine nachhaltige Alternative?
Ein erster Schritt, diese Frage zu beantworten, läuft bereits im Projekt Wear2Share. Das Forschungsteam untersucht, welche Bedingungen erfüllt werden müssten, damit Mieten in Summe nachhaltiger ist als Kaufen. Weiterhin muss untersucht werden, wie Erfolge gemessen werden können, ob es beispielsweise im Unternehmenskontext neben der klassischen finanziellen auch eine verpflichtende „Nachhaltigkeitsbilanz“ braucht?
Das Projekt hat den ganzen Zyklus im Blick – geklärt werden soll auch, was mit Kleidungsstücken passiert, deren Zustand nicht mehr einwandfrei ist: Können sie trotzdem weiterhin vermietet werden, wie sieht eine sinnvolle Weiternutzung nach dem Mieten aus, wie kann diese direkt in das Geschäftsmodell integriert werden?
Bleibt Mode ein Statussymbol?
Ein Gedanke, der eher gesellschaftlich-kulturell eingeordnet werden kann, ist die Frage, ob Mode-Mieten, also ein Kleidungsstück für den Bruchteil des Verkaufspreises tragen zu können, etwas an dem Aspekt „Statussymbol“ des Kleidungsstückes ändert und ob das von allen Marken, gerade großen Luxuskonzernen, begrüßt wird. Bringen Mode-Miet-Modelle eine Demokratisierung der Mode – und wenn ja, ist das (von allen) gewünscht?
Um dieser Frage tiefer auf den Grund zu gehen, hat das Projektteam zusammen mit den Teilnehmenden des Workshops ein Zukunftsszenario skizziert: Was würde sich verändern, wenn Mietmodelle 30 Prozent des Textilmarktes einnehmen würden?
Die Teilnehmenden waren sich einig, dass eine Zunahme der Miet-Modelle positive Effekte auf die Qualität der Kleidungsstücke hätte, denn nur ein langlebiges Stück ist innerhalb eines Miet-Modells ökonomisch. Da durch den Umlauf der einzelnen Textilien weniger produziert werden müsste, gäbe es auch weniger Überproduktion und damit verbunden weniger Drittvermarktung wie Outlets und Resales. Die hohen Qualitätsstandards würden dies dann ausgleichen: Qualität dauert in der Produktion länger als Quantität. Offline-Miet-Modelle würden umsatzschwachen Textilgeschäften in den Innenstädten neue Perspektiven eröffnen, hier ließe sich auch am ehesten ein cross-kollaboratives Netzwerk aus Reparatur, Änderung, Reinigung und Pflege aufbauen.
Allerdings würde eine Verbreitung der Mode-Miet-Modelle möglicherweise zu einer Schwächung des karitativen Altkleiderkreislaufs führen. Hier schlagen die Teilnehmenden eine Kooperation vor, von der beide Seiten profitieren könnten.